Fotobuch
... denn weiter als der Himmel ist die Liebe
Fotografien über die Träume der Engel
von Gerald Axelrod und Liane Angelico
Wovon träumen Engel? Man darf vermuten, vom selben wie die Menschen, nämlich vom Liebesglück. Engel verdanken ihre ungeheure Popularität ja nicht zuletzt dem Umstand, daß sie seit jeher als Inbegriff der Liebe gelten. Schon die alten Griechen und Römer stellten sich Eros bzw. Amor, den Gott der Liebe, als geflügeltes Wesen vor. Bekanntlich erhielt Amor (oder Eros, wie ihn die Griechen nannten) von den Göttern den Auftrag, goldene Pfeile in die Herzen jener Männer und Frauen zu schießen, die zueinander passen, damit sie sich ineinander verlieben. Andererseits sollte er bleierne Pfeile in die Herzen jener schießen, die nichts gemeinsam haben, damit sie sich aus dem Weg gehen. Wie wir aber aus leidvoller Erfahrung wissen, treibt Amor gerne Schabernack und schießt mit sichtlichem Vergnügen goldene Pfeile in die Herzen jener Menschen, die absolut nicht zusammenpassen, und bleierne Pfeile in die Herzen derjenigen, die eigentlich füreinander bestimmt sind.
Im Gegensatz zur Mythologie der Griechen und Römer steht im Judentum und Christentum die Liebe zu Gott an erster Stelle. Deshalb gehört es zu den Pflichten der Seraphim, der allerhöchsten Engel, diese Liebe in den Herzen der Menschen zu entflammen. Daneben gibt es aber eine Reihe von Liebesengeln, die für irdische Belange zuständig sind. Sie erreichten zwar nie Amors Berühmtheit, doch bedeutet dies nicht, daß ihre Hilfe weniger wirksam ist. Folgende Engel können in Liebesfragen angerufen werden:
Anael ist der Regent des Planeten Venus, der ja als Abendstern am Firmament leuchtet und als "Stern der Liebe" gilt. Venus war in der römischen Mythologie die Göttin der Liebe und Amors Mutter. Nach alter Vorstellung besitzt jeder Stern einen Engel als Regenten, und als Regent der Venus wurde Anael zum Schutzengel für Hochzeiten. Er leitet alles für die Eheschließung in die Wege und gibt dem Paar seinen Segen, damit der Bund auch wirklich fürs Leben hält.
Itqal ist der Engel der Zuneigung. Zu seinen Spezialitäten gehört es, Streitigkeiten zu schlichten und die Harmonie wieder herzustellen. Keine leichte Aufgabe in einer Ehekrise! Deshalb ist für die Anrufung Itqals auch ein besonderes Ritual erforderlich, bei dem man sechs Kerzen anzünden und Sandelholz als Räucherwerk verwenden soll.
Jeliel entflammt die Leidenschaft in den Herzen der Liebenden und sichert die Treue, indem er das Paar blind macht für andere Objekte der Begierde. An dieser Stelle sei auf den feinen Unterschied zwischen Leidenschaft und Lust hingewiesen. Während die Leidenschaft durchaus wünschenswert erscheint und in die Zuständigkeit des himmlischen Engels Jeliel fällt, gilt die Lust in den Augen der Kirche seit jeher als verwerflich. Kein Wunder, daß der Höllenengel Asmodeus, einer der höchsten Fürsten in Satans Reich, als Teufel der Lüsternheit, Sinnlichkeit und des Luxus auftritt.
Tezalel sichert ebenfalls die eheliche Treue. Da Untreue wohl der häufigste Scheidungsgrund ist, verwundert es kaum, daß mit Jeliel und Tezalel gleich zwei Engel für die Treue verantwortlich sind.
Theliel hilft einer Verliebten (oder einem Verliebten), das Objekt ihrer (oder seiner) Begierde zu erobern. Theliel vermag die Gefühle eines Menschen zwar nicht direkt zu manipulieren, aber er kann eine günstige Gelegenheit herbeiführen, um die Flammen der Liebe zu entzünden.
Habiel besitzt ein besonderes Geschick, Menschen zu beeinflussen, die zwar verliebt sind, aber vor einer festen Bindung zurückschrecken. Er flößt ihnen Vertrauen ein, damit sie den Sprung in die Ehe riskieren.
Der Vollständigkeit halber sei noch ein weiterer Engel erwähnt, der zwar zu den Liebesengeln zählt, heute aber wohl nur noch selten angerufen wird: Tahariel, der Engel der Keuschheit. Seine Aufgabe besteht darin, man kann es unschwer erraten, die Keuschheit bis zur Eheschließung zu sichern.
Romantische Liebe im 19. Jahrhundert
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts traten zwei Entwicklungen ein, die das Bild der Grabskulpturen entscheidend beeinflußten: die Entstehung der Totenstädte und das neue Liebes-Ideal der Romantik.
Während des ganzen Mittelalters wurden die Toten in Massengräbern verscharrt, die in der Dorfmitte lagen. Bis zum 18. Jahrhundert funktionierte dieses System, doch dann stieg die Seuchengefahr wegen der wachsenden Zahl der Toten immer stärker an. So entschlossen sich die Städteplaner in ganz Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer radikalen Neulösung und ließen riesige Friedhöfe außerhalb der Städte errichten, mit monumentalen Gebäuden, Säulengängen, großzügigen Wegen und Bäumen.
Die neuen Totenstädte boten reichen Bürgern die Möglichkeit, mit pompösen Familiengräbern ihren Wohlstand zu demonstrieren. Ärzte, Rechtsanwälte, Notare, Apotheker, Professoren, Generäle, Fabrikanten, Architekten, hohe Beamte und Ingenieure gaben bei den Bildhauern prunkvolle Statuen in Auftrag. Den Höhepunkt erreichte diese Friedhofskultur in der Zeit von 1850 bis 1920. Nach dem Ersten Weltkrieg ließ das Interesse schlagartig nach, und es setzte eine völlige Verdrängung des Todes ein, die bis heute andauert.
Die Bildhauer, die die Skulpturen anfertigten, verstanden sich nicht als Diener der Kirche, sondern als freie Künstler. Sie ließen sich von der Romantik inspirieren, die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts ein neues Liebes-Ideal verkündete: die leidenschaftliche Liebe, die vor jener Zeit eher die Ausnahme war. Als Regel galt die Vernunftehe, bei der die Heiratskandidaten ihren Partner kaum je selbst aussuchen konnten.
Die von der Romantik geforderte Liebesheirat setzte sich zwar nach und nach in allen Gesellschaftsschichten durch, doch bald traten die Schattenseiten zutage: Die leidenschaftliche Liebe erwies sich als wesentlich unbeständiger und vergänglicher als die Vernunftehe. Um den Traum von ewiger Liebe trotzdem verwirklichen zu können, entstand die Vorstellung, daß die Liebe über den Tod hinausgehe. Der Tod trennt also nicht mehr, sondern verbindet die Liebenden im Jenseits.
Die ewig währende Liebe mag heute immer weniger der Realität entsprechen, doch vielleicht ist sie gerade deshalb das (selten erreichte) Ideal geblieben. Wir träumen von der romantischen Liebe, die unserem Körper Glück und unserer Seele Frieden bringt - und mit der wir schließlich ins Reich der Engel eintreten. Denn weiter als der Himmel ist die Liebe.
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... denn weiter als der Himmel ist die Liebe
Eulen Verlag 2002
22,8 x 28,6 cm; Hardcover;
128 Seiten mit 92 Schwarz-Weiß-Fotografien, in Duoton gedruckt
ISBN 3-89102-463-0